KÖPFE DER GEGENWART

Der beste Job der Welt
 

TEXT: BJÖRN BRÜCKERHOFF
BILD: CLAUS LUTTERBECK

Claus Lutterbeck ist Nomade. Im Auftrag des Hamburger Magazins "Stern" hat er aus Wien, Rom, Paris, Los Angeles und Washington das lokale Geschehen beleuchtet, Barrieren überwunden, Menschen überzeugt und Grenzen überquert. Doch besonders an einer Grenze, die nicht auf der Landkarte verzeichnet ist, steht Claus Lutterbeck als Auslands-Korrespondent eines deutschen Magazins sehr häufig. An der Grenze seines Berufs.

"Keine Fragen zum Vorleben" - Claus Lutterbeck mußte unterschreiben, um Courtney Love zu interviewen. Er unterschrieb, fragte sie dann aber verbotenerweise nach ihrer Zeit als Stripperin. Da stand sie auf und ging. In der "härtesten Verkaufsmaschine der Welt" (Lutterbeck über Hollywood) ist jeder darauf aus, sich zum Höchstpreis zu verkaufen. Image ist alles, hat es Makel, muss ein neues her. Das Diktat der PR-Experten und Image-Berater lässt viele Stars und Sternchen nur abgestimmte Worthäppchen sagen. Das ist tödlich für jedes Interview. Und: Journalisten, die sich nicht beugen, kommen auf die "Shit List" - das sichere Aus für Lifestyle- und Szenereporter.

Claus Lutterbeck traf sie alle: Madonna, Steven Spielberg, Tom Hanks, Francis Ford Coppola - doch das vielleicht wichtigste Gespräch führte der Journalist mit dem Geiger Isaac Stern 1999 in New York. Trotz großer Zweifel hatte sich Stern entschlossen, erstmals Deutschland zu besuchen. "Zwei Stunden lang erzählte er mir von den Qualen, die ihm das Thema Deutschland seit einem halben Jahrhundert bereitet. Zum ersten Mal berichtete er einem deutschen Medium, dass keiner seiner Verwandten den Holocaust überlebt hat. Am Ende saßen wir erschöpft und den Tränen nah in seinem Arbeitszimmer. "Heute denke ich, dass man nicht leben kann, wenn man diese Wunde immer weiter offen mit sich trägt", sagte er leise. "Wenn man daraus nicht lernt, wieder aufzubauen - was zum Teufel lernt man dann überhaupt im Leben?" - Das sind die Augenblicke, in denen ich weiß: Ich habe den besten Job der Welt.", sagt Claus Lutterbeck.

Brückerhoff: Sie waren Korrespondent in Rom, Paris, Wien, Los Angeles und Washington – an welchen Ort würden Sie am liebsten zurückkehren?

Claus Lutterbeck: Immer pendeln zwischen Rom und Los Angeles!

Brückerhoff: Besonders aufregend scheint Ihre Zeit in Los Angeles gewesen zu sein. Was war Ihre wichtigste Erkenntnis als Journalist in Hollywood?

Claus Lutterbeck: Dass man ein kleines unbedeutendes Rad in der riesigen Marketing-Maschine der Studios ist - siehe das Tamm-Tamm über den miserablen Film Pearl Harbor.

Brückerhoff: Wer sind sie ergiebigsten Interviewgäste der Traumfabrik, Regisseure, Musiker, Schauspieler? Oder gibt es diese Einteilung nicht?

Claus Lutterbeck: Schauspieler sind meist schwierig, nur die wirklich großen Stars wie Madonna, Redford, Hanks, Travolta usw. haben die Gelassenheit, auch Journalisten wie Menschen zu behandeln. Musiker sind viel offener, nur Jerry Lee Lewis hat mich mal einen halben Tag in seiner Küche warten lassen - und dann das Interview doch abgesagt. Aber es war nicht langweilig in seiner Küche, dauernd kamen komische Leute rein. Regisseure sind meist sehr angenehme Gesprächspartner, sie stehen nicht so im Rampenlicht und müssen sich nicht, wie Filmstars, dauernd zum Höchstpreis verkaufen. Ich hatte drei Interviews mit Steven Spielberg, sie waren alle interessant. Egal, was eigentlich das Thema war, wir sind nach zehn Minuten immer beim Holocaust gelandet.

Brückerhoff: Wie bereiten Sie sich auf Interviews mit Weltstars vor?

Claus Lutterbeck: Lesen, lesen, Tonnen von Artikeln lesen. Ihre Filme anschauen, ihre CDs anhören.

Brückerhoff: Wie leiten Sie Interviews ein – wie motivieren Sie Ihre Interviewpartner, über sich zu erzählen?

Claus Lutterbeck: Ich bereite immer eine erste Frage vor, die ich nachher fast nie stelle, weil es meist ganz anders läuft als geplant. Ich versuche, Vertrauen zu schaffen, denn viele Schauspieler vermuten (vielleicht nicht ganz zu Unrecht), dass Journalisten nur darauf aus sind, sie auf's Kreuz zu legen. Ich versuche das nie, nicht einmal bei jenen Schauspielern, die mich schlecht behandeln (wie Courtney Love). Wenn Schauspieler spüren, dass man gut vorbereitet ist und sie ernst nimmt, sind sie eher bereit sich zu öffnen. John Travolta hat mir erzählt, er hasse die meisten Interviews, weil er sofort spüre, dass die Frager keine Ahnung hätten und schlecht vorbereitet seien.

Brückerhoff: Mit welchem Interviewgast haben Sie sich besonders gut verstanden?

Claus Lutterbeck: "Chemie" spielt bei allen Interviews eine große Rolle. Mit manchen klappt's, mit anderen nie. Ich hatte sehr viele Interviewgäste, mit denen ich mich gut verstanden habe. Madonna war witzig und sehr spontan. Wir hatten sofort einen guten Draht, als ich ihr erzählte, dass ich auch Yoga mache. Gerard Depardieu war hinreißend. Ein Traum für Journalisten. Offen, herzlich, komisch. Harry Belafonte! Wenige waren so ehrlich und amüsant wie er, seine große Karriere ist vorüber, er kann gelassen zurückschauen. Ausgemacht war eine Stunde Interview, nach fünf Stunden saßen wir auf seinem Bett, weil im Wohnzimmer die Familie geduldig auf ihn wartete. Am besten war Jeanne Moreau. Eine spannende Frau, eich echter Star, ein turbulentes Leben. Sie war witzig spontan, offen, verletzlich, ehrlich. Ein Traum für jeden Journalisten. Sie gab mir viel mehr Zeit, als ich eigentlich von ihr wollte - und hat sich später sogar für meine Story bedankt. Das ist mir nur sehr selten passiert.

Brückerhoff: Hatten Sie – vor Interviews mit Basinger, Spielberg oder Coppola – Lampenfieber? Oder wird man mit der Zeit gelassen?

Claus Lutterbeck: Ich bin immer aufgeregt, auch nach 30 Jahren im Beruf, sogar bei Rockmusikern die nicht mal halb so alt sind wie ich. Auch vor dem Kim-Basinger-Interview war ich nervös, ich fand sie wirklich sexy, aber es war fürchterlich. Sie war zickig und todlangweilig.

Brückerhoff: Welche Interviews waren besonders unerfreulich?

Claus Lutterbeck: Mit der Schauspielerin Charlotte Gainsbourg. Es hat nur eine Minute gedauert. Ich stellte zwei harmlose Fragen auf die sie, kaum hörbar, nuschelte: "Das geht sie nichts an."; Da bin ich aufgestanden und gegangen. Ich finde aber dennoch, dass sie eine großartige Schauspielerin ist. Und mit SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Obwohl er sich selbst als Journalist bezeichnete, gab es wohl auf der ganzen Welt niemand, der Journalisten mehr hasste. Ein Alptraum. Aber er konnte sich selbst wohl auch nicht leiden.

Brückerhoff: Welche Begegnung hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Claus Lutterbeck: Das Interview mit dem Geiger Isaac Stern. Er hatte sich immer geweigert, nach Deutschland zu kommen, weil er nie für die Menschen spielen wollte, die seine komplette Familie ausgerottet haben. Vor seinem ersten Besuch in Köln, 1999, traf ich ihn in New York und er hat mir in einem bewegenden Interview erklärt, warum er jetzt zwar nach Deutschland kommen werde (um junge deutsche Geiger zu unterrichten), aber keine Geige in die Hand nehmen werde. Unser Gespräch war so bewegend, dass wir beide nachher mit den Tränen gekämpft haben.

Brückerhoff: Hatten Sie schon einmal das Gefühl, Ihren Beruf nicht vollständig ausüben zu können?

Claus Lutterbeck: In Hollywood dauernd. Die Studios, vor allem aber die Agenten und Pressefritzen der Stars kontrollieren jedes Wort. Man ist, ob man will oder nicht, nur ein Handlanger der Filmvermarktung. Eigentlich hat das mit Journalismus wenig zu tun, was unsereins dort treibt. Ich habe immer davon geträumt, dass alle Medien auf der ganzen Welt sich mal ein Jahr lang weigern, über den Hollywood-Zirkus zu berichten. Und wenn die Stars nach drei Monaten auf dem Boden gekrochen kämen und bettelten "Ach bitte, frag mich, was Du willst!" würden wir Journalisten sagen: "Sorry, kein Bedarf. Ihr seid zu langweilig." - Ach wär' das schön.

Brückerhoff: Ihr peinlichstes Erlebnis in einem Interview?

Claus Lutterbeck: John Lee Hooker (85) ist eingeschlafen, und ich fragte mich entsetzt: Waren das nun meine Fragen?

Brückerhoff: Sind Sie einmal an die Grenzen Ihres Berufs gestoßen?

Claus Lutterbeck: Jeden Tag zwei Mal. Für ein deutsches Medium im Ausland zu arbeiten heißt: Man muss ständig den Namen seiner Zeitung buchstabieren. Ein Mitarbeiter von Hillary Clinton sagte mir einmal, als ich um ein Interview bat: "Ihre Zeitung erscheint in Deutschland? Sorry, da haben wir keine Wähler."

Brückerhoff: Spüren Sie – als Washington-Korrespondent und Journalist des Stern – den politischen Klimawechsel in Washington?

Claus Lutterbeck: Nein, eigentlich nicht, was ausländische Medien denken, schreiben, sagen oder senden, perlt an jeder amerikanischen Regierung ab.

Brückerhoff: Welchem politischen Interviewgast in Washington würden Sie gern welche Frage stellen?

Claus Lutterbeck: Ich würde gern die Senatorin Hillary Clinton fragen, was hinter ihrer beherrschten Fassade wirklich los ist.

Brückerhoff: Sind Sie Weltbürger?

Claus Lutterbeck: Ich fühle mich eher wie ein Zigeuner mit deutschem Akzent, 21 Jahre unterwegs und nirgendwo richtig zu Hause. Aber unsere Kinder, die das Zigeunerleben immer gern mitgemacht haben und drei Sprachen fließend sprechen, sind wohl Weltbürger.

Brückerhoff: 20 Jahre beim stern – hatten Sie nie das Bedürfnis, auch für andere Magazine, Zeitungen oder für ganz andere Medien tätig zu sein?

Claus Lutterbeck: Ein anderes Medium: Nie! Ich kann nur schreiben. Vor einem Mikrofon finge ich zu Stottern an. Eine anderes Magazin: Ich wollte mal zum Spiegel, 1979, die Sache war auch schon so gut wie abgemacht. Aber dann bot mir der Stern den Posten in Rom an, und weil ich seither immer die besten Jobs hatte, die der Stern zu vergeben hat, bin ich gern geblieben.

Brückerhoff: Welcher Ort auf der Welt wäre für Sie als Korrespondent für die Zukunft reizvoll?

Claus Lutterbeck: Capri!

Brückerhoff: Wie wurden Sie Korrespondent? Haben Sie sich schon immer für das journalistische Fach interessiert?

Claus Lutterbeck: Immer. Mit acht Jahren habe ich den ersten Aufsatz für die Pfadfinderzeitung geschrieben, ich war bei jeder Schul-und Studentenzeitung dabei - aber ich habe nie eine Ausbildung oder ein Volontariat gemacht. Ich hatte das seltene Glück, gleich zu Beginn einen exzellenten Journalisten als Chef zu haben (Gerd Gründler beim "Vorwärts"), der meine Stärken und Schwächen erkannt und mich sehr gefördert hat. Man braucht so jemand am Anfang seiner Karriere, leider nehmen sich nur wenige Chefs die Zeit dafür. -- Korrespondent wurde ich eher zufällig - ich wollte nach acht Jahren Innenpolitik mal was Neues machen

Brückerhoff: Waren Sie gut in der Schule? Würden Sie sagen, dass das für Ihren heutigen Beruf eine Rolle gespielt hat?

Claus Lutterbeck: Ich war faul und mittelmäßig. Für meinen Beruf habe ich dort aber gelernt, wie man erfolgreich vortäuscht, von allem ein bisschen Ahnung zu haben.

Brückerhoff: Welchen Menschen würden Sie gern – unabhängig von der Zeit, in der er/sie lebt oder lebte - interviewen und welche Frage würden Sie sich gerne beantworten lassen?

Claus Lutterbeck: Ich würde gern Groucho Marx fragen, was er sich dabei gedacht hat, den Marxismus zu erfinden.

Brückerhoff: Wie sehen Sie die Zukunft des Journalismus? Liegt sie im Online-Bereich?

Claus Lutterbeck: Das Fernsehen wird immer wichtiger und interaktiv, es wird sich mit dem Online-Journalismus verbünden. Auch wenn das derzeit nicht so aussieht: Online-Journalismus wird eine immer größere Rolle spielen. Die aktuellen Probleme und Rückschläge haben nur damit zu tun, dass es für normale Verbraucher noch viel zu kompliziert ist, das tolle Angebot auf dem Internet zu nutzen. Wenn jeder Haushalt erst mal seine Broadband-Media-Station hat, die per gesprochenem Wort bedient wird, ist es einfacher. Dann werden alle Filme, Musik, personalisierte Tageszeitungen und Magazine in Millisekunden heruntergeladen und auf 3-D-Bildschirmen angeschaut. Irgendwann werden wir auf unsere crashenden Computer zurückschauen wie auf Postkutschen: man wird sich kaum vorstellen können, dass man mit so anfälligen, primitiven Maschinen mal vorwärts kam. - Hoffentlich erlebe ich es noch.
Aber die Morgenzeitung, die man bei einem Capuccino auf der Piazza Navona liest - die kann all das nie verdrängen.

Brückerhoff: Was raten Sie jungen Leuten, die heute Ihre journalistische Laufbahn beginnen wollen?

Claus Lutterbeck: All das Gerede von den sieben Studiengängen und 15 Hochschulabschlüssen nicht so ernst zu nehmen. Ohne Talent nützen sie nichts. Es ist immer noch ein Beruf, in dem ein guter Riecher, Neugier und möglichst viele Sprachen wichtig sind.

Brückerhoff: Wie wird es – Ihrer Meinung nach – um den klassischen Magazin-Journalismus in der Zukunft bestellt sein?

Claus Lutterbeck: Finster!

Brückerhoff: Angenommen, Sie bekommen einen freien Tag geschenkt. Was machen Sie?

Claus Lutterbeck: Ein schneller Espresso im "Ciao Ciao" (Umbrien) dazu "Süddeutsche" lesen, dann Skifahren mit meinen Kindern in der Sierra Nevada (Kalifornien), Mittagessen mit meiner Frau bei Bernard Loiseau in Saulieu (Burgund), nachmittags Zeitung lesen und Capuccinotrinken auf dem Campo de Fiori (Rom) und abends alle in die Wiener Staatsoper.

Brückerhoff: Und in zehn Jahren?

Claus Lutterbeck: Hoffentlich immer noch das gleiche!


 





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