Dürfen sie schon oder müssen sie noch?



Text und Bilder:
Stefanie Dracker

Oder wollen Sie etwa noch, aus freien Stücken? Bevor Sie die Antworten zweier "Oldies" auf diese Frage lesen, fragen Sie sich selbst: Wissen Sie bereits, was Sie auf diese Frage in geschätzten 25 oder 35 Jahren antworten werden, also dann, wenn Sie nach heutigen Berechnungen das Renteneintrittsalter erreichen?

Im Jahr 2001 lag der Abschied von der Berufstätigkeit bei 60,5 Jahren in den alten Bundesländern, in den neuen bei knapp 59 Jahren. Nicht alle der fidelen Jung-Rentner wechseln freudig vom Büro auf den Golfplatz, besteigen abenteuerlustig das Kreuzfahrtschiff oder warten geduldig aufs erste Enkelkind, das nicht kommen will, weil die Tochter zehn Jahre nach Studienabschluss und diversen Pleiten endlich den ersten festen Job hat und gern eine Weile behalten möchte. Viele der Neu-Rentner anno 2005 gehören zu den "Ausgesetzten", die Platz für Jüngere machen müssen. Denn noch können es sich über 50 Prozent der Unternehmen leisten oder profitieren vielmehr davon, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jenseits der 50 freizusetzen, für jüngere und billigere Angestellte.

AUSGABE 44
DIE NEUEN JUNGEN ALTEN





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT PROF. PETER WIPPERMANN
DIE NEUEN ALTEN
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DIE HEIMLICHE ZIELGRUPPE
WELCHE FARBE HAT DAS ALTER?
DÜRFEN SIE SCHON/MÜSSEN SIE NOCH?

SEXY GREISE UND WEISE DAMEN
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GESCHICHTE DES ALTERS IN DER ANTIKE

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Oder sich, wie unlängst das BMW-Werk in Leipzig, dafür feiern lassen, dass sie in einer medienwirksam angelegten Kampagne ganz gegen den allgemeinen Trend den "Alten, ihrer Erfahrung und Leistungsbereitschaft eine zweite Chance" geben.  Was aber wird in Zukunft, lange nach der Agenda 2010 oder einer Future 2025-Kampagne? Wie sieht das "typisch" deutsche Feierabend-Szenario im Jahre 2040 aus, Dekaden nach den derzeit den Wahlkampf bestimmenden Reformen des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme und dem in die Unternehmens- und Gesellschaftsbilder prägen-den Geburtenrückgang, wenn die Newcomer von heute zum alten Eisen gehören?

 

S
tefanie Dracker, 33, arbeitet als Kommunikationsberaterin für die Verlags- und Medienbranche und als freie Journalistin und Autorin mit den Themenschwerpunkten Kultur, Zeitgeist, Lebensart, Psychologie und Alltagsphänomene. Ihr aktuelles Sachbuch über das Wesen und die Bedeutung der Frauenfreundschaften ist im Eichborn-Verlag erschienen.

Wann wird die Generation Golf, die sich nach ihrem fulminanten Start in eine glorreiche Zukunft und den darauf folgenden Crashtests Anfang des neuen Jahrtausends wieder  berappelt und auf Spur gebracht (und das Beste noch vor sich hat?), in den hoffentlich wohl verdienten Ruhestand gehen?

Ab welchem Alter wird sich die
Generation Praktikum, die gut ausgebildeten Jung-Akademiker von heute, die derzeit in einer Endloswarteschleife auf den richtigen Einstieg hospitiert, den finalen Ausstieg leisten können, wenn bis Mitte Dreißig an private Altersvorsorge nicht einmal zu denken ist?

Unsere Antworten werden wir naturgemäß erst in zwei bis vier Jahrzehnten geben können. Und das ist gut so! Es kann aber nicht schaden, sich untypische (?) Vertreter aus der Jetzt-Zeit anzuschauen: Es sind Unternehmer aus Leidenschaft, die niemand fragen oder fürchten müssten, was das eigene Aufhören betrifft. Sie haben immer selbst bestimmt und werden es weiterhin. Und vermutlich liegt darin der Schlüssel: eine Aufgabe, die man mit Herzblut tut, kann nie zur lästigen Pflicht werden ...

Immer in Bewegung bleiben
Till Behrens, Prof. Dr.-Ing., 74 Jahre alt, Frankfurt am Main (Bild oben)

Till Behrens wurde 1931 als älterer Bruder dreier Schwestern in Berlin-Wannsee geboren. Nach dem Krieg verlor er 15-jährig seinen Vater und musste die Schule abbrechen, um als Bauhilfs-, Strecken- und Gleisarbeiter, Filmtechniker, Autowäscher und Chauffeur zum Familienunterhalt beizutragen.

Nach einer Lehre zum Mechaniker und dem Studium zum Hochbau-Ingenieur begann Behrens eine fulminante Laufbahn, die er selbst nicht als Karriere bezeichnet: "Karriere ist ein Begriff aus einer hierarchischen Treppchen-Welt, wie Militär, Verwaltung, Parteipolitik, und hatte für mich nie eine Bedeutung." Seit 1959 ist Behrens als freischaffender Architekt tätig und lehrte Stadt- und Landschaftsplanung, Bau-konstruktion und Innovations-Entwicklung an den Universitäten Stuttgart, Kassel, der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und der FH Wiesbaden. Als Stadt- und Landschaftsplaner hat er sich in ungezählten Veröffentlichungen und Vorträgen einen Namen gemacht: Die Stadt Frankfurt,

 

Du bist wie ich, nur anders
Das "einzig wahre Freundinnenbuch" von Stefanie Dracker und ihrer Autorenkollegin Barbara Werner ist im April 2004 bei Eichborn erscheinen und kommt Anfang 2006 im Goldmann-Verlag als Taschenbuch heraus. Auch als Hörbuch erhältlich.

seine Wahlheimat seit 1958, griff 1980 Teile aus Behrens' Vorschlägen für die Dom-Römerberg-Bebauung, die Museumsufer-Konzeption und 1989 die Grüngürtel-Konzeption (zugleich seine Promotion zum Dr.-Ing.) auf, mit der Behrens für die Einbeziehung von Naturflächen in das Frankfurter Stadtbild eintrat, und realisierte seine von der Hessischen Landesregierung als "Rahmengebendes Gesamtkonzept" ausgezeichnete Planung zum Wiederbewohnbarmachen der Stadt.

Behrens besonderes Augenmerk und Engagement gilt bis heute den Kreuzschwingern: Die Prototypen seiner besonderen Sitz- und Liegemöbel entwickelte der renommierte Architekt und Stadtplaner bereits 1959, inzwischen gibt es sie in der zweiten, ästhetisch und funktionell optimierten Generation. Seine Schöpfung machte ihn nicht nur international bekannt, wurde mehrfach national und international ausgezeichnet und steht unter anderem im Museum für Angewandte Kunst und im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, sie beschäftigte auch die Gerichte im Laufe der Jahre vielfach. Wie von allen berühmten Designentwürfen gab es auch von den Kreuzschwingern zahlreiche Kopien - inzwischen beläuft sich der Negativrekord auf 101. "Fast alles, was ich dachte und machte, wurde von dreisten Plagiatoren geklaut." fasst Behrens eine grundlegende Erfahrung seines beruflichen Wirkens zusammen. Immer wieder hat er den Kampf durch alle juristischen Instanzen erfolgreich ausgefochten und bekam unlängst vom Oberlandesgericht Frankfurt den seltenen Urheberrechtsschutz "Werk der angewandten Kunst" zugesprochen. Damit steht Behrens' Designklassiker in einer Reihe mit berühmten anderen Sitzmöbeln: mit den Freischwingern von Mart Stam und Mies van der Rohe und den Sesseln von Le Corbusier. Mit einem spürbaren Unterschied zu seinen berühmten Kollegen: der Kreuzschwinger hat den Bogen raus. "Er zwingt uns, keine statische, sondern eine dynamische Sitzhaltung einzunehmen." erläutert Behrens. Das hat messbar positive Effekte auf Körperhaltung und Stimmung." Und wie man an seinem Erfinder selbst sieht, auch auf eine nicht nachlassende Motivation und unermüdlich vorwärts treibende Leidenschaft zu den gewählten Inhalten: "Ich hatte nie einen Traumberuf, wohl aber trieb mich eine Nietzsche-Frage an: Bist du ein aus sich rollendes Rad?"

Behrens hat in seiner beruflichen Laufbahn gleich mehrere Räder in Bewegung gesetzt, die ineinander greifen, bis heute in steter Wechselwirkung, und noch lange nicht still stehen wollen. "Kein Lebewesen kennt ein Rentnerdasein", sagt Behrens und zitiert ein Vorbild im Geiste, Goethe: "Tätigsein ist des Menschen erste Bestimmung." Der 74-jährige absolviert nach wie vor eine Sechs-Tage-Woche mit täglich 8 bis 9 Stunden Arbeit: "Für schöpferische Menschen, das sind nicht nur Künstler und Erfinder, bedeutet dies: Neues denken, Neues realisieren." Den Sonntag schätzt Behrens "zum (hoffentlich) ungestörten Nachdenken". Dass auch das regelmäßige Innehalten unerlässlich ist, beschreibt Behrens' Rat an einen jungen Karrieremenschen: "Die Werte des Lebens sind Freundschaft, Liebe, Loyalität und Lebensfreude und das, was nach uns bleibt: das heißt, was es uns gelang, zu denken und zu realisieren."



Kein Vorgesetzter mehr, finanziell unabhängig sein:
Das war meine stärkste Motivation.

Manfred Harnau, 72 Jahre, Hannover


Angesichts der biographischen Daten von Manfred Harnau und einem Vergleich mit denen Till Behrens drängt sich die Frage auf, ob die Parallelen in beiden Lebensläufen bloßer Zufall sind - oder vielmehr eine Erklärung für einen schier unermüdlichen Schaffensdrang. Die Ausgangssituation ähnelt sich und sie ist geradezu klassisch für einen "Entrepreneur", wie man den Unternehmer heute gern nennt.

Manfred Harnau wurde 1933 ebenfalls in Berlin geboren. Sein Vater starb 38-jährig und hinterließ den 3-jährigen Manfred als Halbwaise zwischen zwei Schwestern. Die Kriegs-jahre und die an-schließende Flucht aus der besetzten Ostgebieten be-endeten seine Kindheit zu früh, eine unbeschwerte

Jugend fiel schlichtweg aus, ebenso Abitur und Studium. "Beides war aus familiären und finanziellen Gründen unmöglich". Harnau, der als Kind gern Förster und nach der Schule Ingenieur geworden wäre, musste die Mutter und die beiden Schwestern unterstützen und begann eine Lehre zum Großhandelskaufmann. Als Lehrling und auch später als Angestellter in der Buchhaltung herrschten raue Sitten ("Das war wohl Mobbing, nur nannte man es damals noch Schikane."), es gab die Sechs-Tage-Woche und einen mehr als kargen Lohn, als Wohnung diente eine kaum zehn Quadratmeter große Dachmansarde. Die Zeiten waren hart, von anderer Härte als heute, in denen manche bereits das Ausfüllen eines 18-seitigen Antragsformulars für das Arbeitslosengeld II als Zumutung betrachten.

1959 konnten Manfred Harnau und seine Verlobte, die er in der Firma kennen gelernt hatte, endlich heiraten und eine eigene Wohnung beziehen. Unermüdlich ging es weiter voran: "Das Karrieremachen war nie Antriebsfeder. Nur das: Ich wollte keine Vorgesetzten mehr und finanziell unabhängig werden." Es folgten Stationen als Revisionsassistent eines Wirtschaftsprüfers, in Abendkursen die Fortbildung zum Bilanzbuchhalter und später Steuerberater. 1962 - die ersten drei von insgesamt vier Kindern waren geboren - eröffnete Harnau eine Sozietät mit einem Steuerberater in Hannover, die er 1967 als Einzelpraxis weiterführte. 1974 gründete er seine eigene Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft. Es folgten 30 erfolgreiche Jahre, die Sozietät expandierte und beschäftigt bis heute über zwölf Mitarbeiter.

Harnau hat im vergangenen Jahr, kurz nach seinem 71. Geburtstag und auf die wiederholte Bitte seiner Frau, sein Engagement auf "halbe Tage im Büro" reduziert. Der "Halbtagsjob" umfasst neben der bundesweiten Betreuung großer Mandate, "für die ich mich nach wie vor persönlich verantwortlich fühle", den Aufsichtsratsvorsitz einer Aktiengesellschaft, weitere Aufsichtsrats- und Beiratstätigkeiten in Unternehmen verschiedener Branchen, die Tätigkeit als "Business Angel" und Berater für die Unternehmungen seiner Kinder und deren Freunde sowie die ständige Fortbildung.

"Es ist trotz der jahrzehntelangen Erfahrung nicht einfacher geworden, das Steuerrecht wird ja zunehmend komplizierter." sagt der 72-jährige schmunzelnd. Aber die Materie fasziniert ihn bis heute: "Könnte ich noch einmal von vorne anfangen, würde ich den gleichen Weg einschlagen, aber gründlicher: Wirtschaftswissenschaften studieren und das Wirtschaftsprüfer-Examen machen." Seinen Kindern hat er die Leidenschaft für die Unabhängigkeit mit auf den Weg gegeben: alle Vier haben studiert und sich selbstständig gemacht, die älteste Tochter und der Schwiegersohn arbeiten in der Kanzlei.

Gibt es einen Rat, den der Großvater von sieben Enkeln, der seit 46 Jahren verheiratet ist, einem Mittdreißiger in leitender Position, mit einer 60-Stunden-Woche und ohne Zeit für ein Privatleben auf den Weg geben möchte? "Nicht die Partnerschaft und das Familienleben vernachlässigen, einen guten Freundes- und Bekanntenkreis und ein Hobby pflegen."

Aus den Gesprächen und Interviews mit den beiden Herren lässt sich folgendes feststellen: 

1. Es gibt Vorbilder für ein erfülltes und aktives Berufsleben sogar jenseits der 65, wenn sie auch (noch) zu den Außenseitern gehören. Sie zu finden und von ihnen zu lernen, sie als eine Art Mentor für den eigenen Lebenslauf zu Rate ziehen zu können, ist eine lohnende Begegnung. Für beide Seiten!

2. Krisen und Brüche gab und gibt es in jeder Generation. Der Wegfall von Perspektiven und der Verzicht auf Chancen machen persönlichen und beruflichen Erfolg nicht unmöglich!

3. Think global! Act international! Your Life is a Multiple-Choice!? Dennoch, gerade deswegen kommt niemand umhin, klare Entscheidungen treffen zu müssen: in Bezug auf Karriere, Partnerschaft, Familie und persönliche Ziele.



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