Mensch und Medien



Text:
Claudius Rosenthal   Bild: Photocase.com

Als der liebenswürdige, doch debile Filmheld Forrest Gump an einer Haltestelle auf den Bus wartend ins Gespräch mit einer älteren Dame kommt, fragt ihn diese, was er denn in den Händen halte. Die erste Antwort von Forrest: Eine Schachtel Pralinen. Anschließend erklärt er dann, dass das Leben wie eine Pralinenschachtel sei voller Überraschungen, man wisse nie, was man bekommt. Und dann plappert Forrest munter los, erzählt seine Lebensgeschichte. Mit dem Verhältnis von "Mensch und Medien" ist es ein wenig wie mit Forrest Gump, seiner Pralinenschachtel-Parabel und dem Leben: Es lässt sich endlos darüber reden ebenso ergebnisoffen wie ergebnislos. Gleichwohl macht es Sinn, sich dieses Verhältnis noch einmal recht grundsätzlich anzuschauen und dabei einige beunruhigende Entwicklungen festzustellen.

Deshalb drei Thesen:

1. These: Menschen brauchen Medien.
Das klingt banal, einfach, selbstverständlich
ist aber eigentlich eine ziemlich komplizierte Sache. Die empirische Evidenz und die intersubjektive Verifizierbarkeit dieser These resultiert im Wesentlichen aus vier Faktoren:

a
) Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen ist zunächst einmal auf Medien angewiesen, um sich die Welt anzueignen. Er muss erkennen, unterscheiden, benennen können. Er muss Welt für sich begreifbar, verstehbar machen
und er kann das nur, wenn er dazu ein Medium Zeichen, Sprache, Schrift nutzt. Ohne ein Medium, ohne ein Auf-den-Begriff-bringen-Können wären wir unfähig, unser Leben zu leben. Wir könnten unsere Umwelt so wenig begreifen und verstehen wie der Analphabet etwas mit dem Telefonbuch anzufangen wüsste.

b) Sprachphilosophisch  sind wir auf ein Medium, auf Medien als Mittel zum Verstehen der Anderen angewiesen. Wir benötigen verbale oder non-verbale Zeichen, um uns mit unserem Gegenüber zu verständigen, auszutauschen. Wir benötigen Medien wie Sprache, Mimik, Gebärde, um Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu verleihen. Wir benötigen Wort und Schrift, um unsere Sicht auf die Dinge anderen vermitteln zu können. Und wir benötigen Medien damit, um
ganz banal unser Überleben zu sichern: "Lass uns Mammuts jagen gehen" mag es vor 10.000 Jahren geheißen haben. "Zwei Brötchen, bitte", sagen wir heute.

c) Der Umstand, dass Medien qua Definition stets "Mittler" zwischen etwas sind, lenkt den Blick darauf, dass Menschen auch aus soziologischen und sozialanthropologischen Gründen auf Medien angewiesen sind. Der Mensch ist ein "ens sociale", ein "zoon politicon". Und um dieses Eingebunden-Sein in soziale Zusammenhänge zu erfahren und zu erleben, bedarf es der Organisation, der Koordination, der funktionalen Synchronisation. Mit Medien lässt sich genau das erreichen
oder doch wenigstens in aller Regel in einem ausreichenden Maße erreichen.

d) Die kleine Einschränkung macht deutlich, dass Medien zwar notwendig sind, gleichwohl nicht immer den gewünschten Erfolg haben
beziehungsweise teilweise auch eingesetzt werden, um nicht funktional zu synchronisieren und zu koordinieren, sondern gezielt Sozialität zu belasten, ja zu zerstören. Medien sind eben auch Mittel zur Auseinandersetzung. Mit Medien kann gestritten, gerungen, gekämpft werden um die "richtige" Weltauffassung, das "richtige" Wertgefüge, die "richtige" Vorstellung davon, wie Welt, wie Gesellschaft, wie Leben auszusehen hat. Aus eben dieser Funktion resultiert im Übrigen die herausgehobene Stellung, die Medien in nahezu allen freien Gesellschaften haben: Sie sind "Vermittler" von unterschiedlichen Interessen nicht allein im Sinne eines "Überbringens", sondern durchaus auch im Sinne eines "Mediatisierens". Medien beschleunigen Verstehen und verantwortungsvoll eingesetzt verlangsamen damit Konflikte. In freien Gesellschaften sind Medien die Instrumente, die verhindern, dass Unterschiede in der Weltauffassung gewaltsam nivelliert werden.

2. These: Medien brauchen Menschen
Auch diese These klingt auf den ersten Blick banal und wenig erklärungsbedürftig. Gleichwohl erscheint es sinnvoll und hilfreich, sich den funktionalen Zusammenhang, in dem Medien mit  Menschen stehen, noch einmal vor Augen zu führen.

a) Medien brauchen Menschen zunächst einmal als Gegenstände der Berichterstattung. Ohne Akteure, ohne handelnde Personen wären unsere Zeitungen, Fernseh- und Hörfunksendungen schnell ziemlich öde.

b) Medien brauchen Menschen als Rezipienten und Konsumenten. Ein Medium, das keine Leser-, Zuhörer- oder Zuschauerschaft hat, kann ökonomisch nicht bestehen
und ist überdies funktional betrachtet überflüssig.

c) Medien brauchen Menschen als Produzenten: Wenn die Journalistin ihren Beitrag nicht schreibt, der Kameramann seinen Dreh nicht in den Kasten bringt, die Reporterin ihren O-Ton nicht einholt
dann gibt es nichts, das berichtet werden könnte.

d) Und wenn der Zeitungsjunge oder die Sendetechnikerin ihren Job nicht machen würden, dann würde selbst das beste journalistische Ergebnis nicht an den Mann oder die Frau gebracht werden. Medien brauchen Menschen als Distributoren.

3. These: Das symbiotische Verhältnis von Menschen und Medien verändert sich einseitig zu Lasten des Menschen als einem vernunftbegabten, mit Würde ausgestatteten Wesens.
Die Belege für diese dritte These lassen sich angesichts der soeben dargelegten Zweckverhältnisse sowohl auf der Funktionsebene, als auch auf der inhaltlichen Ebene anführen:


a) Betrachten wir beispielsweise die Distributoren, so wird schnell deutlich, dass wir auf dem Weg vom Herold zum Zeitungsausträger nicht nur den Abstand zwischen dem Ort, an dem das Berichtenswerte geschehen ist, und dem Medienrezipienten verlängert worden ist. Im Wege der funktionalen Arbeitsteilung ist die Distributionsfunktion gänzlich von einer noch inhaltlich definierten Angelegenheit zu einer nunmehr rein ökonomisch betrachteten geworden: Der Zeitungsjunge, die Sendetechnikerin sind zu einer reinen Kostenstelle geworden, zu einem Faktor, der eine (notwendige) Aufgabe erledigt
doch bei dem stets überprüft werden muss, ob dies nicht noch kostengünstiger erledigt werden kann.

b) Bei den Produzenten sieht es nicht anders aus. Auch hier überlagert das ökonomische Kalkül die normative Funktion: Der Journalist ist nicht länger der Intellektuelle, der die Welt erklärt und den Rezipienten nahe bringt, sondern er ist der Manager eines Contents, den er marktgerecht aufzubereiten hat. Ob ihm dies gelingt wird nicht an der wachsenden Intelligibilität seiner Rezipienten gemessen, sondern an der verkauften Auflage oder der Einschaltquote.

c) Dass damit auch der Rezipient jenen Status einnimmt, den Bert Brecht bereits in seiner Radiotheorie kritisierte, ist offenkundig: Der Rezipient ist nicht das Gegenüber in einem Dialog mit dem Produzenten
sondern er ist im besten Fall das Ziel eines Distributionsprozesses, wahrscheinlich aber doch eher auf seine Konsumfunktion beschränkt. Und in diesem Zusammenhang tritt der Rezipient weniger als derjenige auf, der Interesse an Verstehen und Erklärt-bekommen hat, sondern dessen Bedürfnisse befriedigt werden müssen, um seine Bereitschaft zum Zahlen zu erhalten. Die Ergebnisse eines solchen Funktionswandels sind allgegenwärtig: "Big Brother" und Boulevard als Sendeformate, Sex und Skandale als "best selling products" und letztlich auch die Forderung, Geschichten "menscheln" zu lassen... weil sie dann eben besser gelesen werden. Was als "eingängiger" und "mundgerechter Journalismus" verkleistert wird, ist in Wahrheit oftmals die Missachtung und Geringschätzung des Menschen.

d) Eine Geringschätzung, die sich im übrigen bis in die Sprache hinein belegen lässt:  Sobald Politik, Wirtschaft, Kultur komplizierter werden, tauchen Menschen in der Berichterstattung kaum noch auf. Da beschließt Brüssel eine Herabsetzung der Milchquote, da lässt der Vatikan verlauten, da heißt es in Berlin und da belegt die Studie... von Menschen, handelnden Personen, Akteuren ist dann kaum noch etwas zu finden. Was nach einer Banalität klingt zeitigt verheerende Wirkung: Nicht nur, dass der Mensch zum Objekt für Voyeure degradiert wird
er taucht auch als verantwortliches, Entscheidungen treffendes Wesen nicht mehr auf (beziehungsweise allenfalls in kruden Verschwörungstheorien). Und Journalisten vernebeln solche Verantwortlichkeiten durch ihre Sprache systematisch. Akteure verschwinden und für die Rezipienten wird die Welt nicht verständlicher. Im Gegenteil. Und damit verliert das Medium auch auf der inhaltlichen Ebene seine ursprüngliche Funktion, verschieben sich die Gewichte weg von den Menschen hin zu den dem Takt der Ökonomie gehorchenden - Medien.

Doch was nun tun in den Redaktionen? Solche Kulturkritik mag ja für ein Diskussionsforum erbaulich, weil diskussionsfördernd sein. Was aber kann die Konsequenz in der Praxis sein? Ich möchte mich auf drei "Ratschläge" beschränken:

a) Erörtern Sie bitte, ob meine Analyse richtig ist - denn andernfalls besteht schlicht kein Handlungsbedarf.

b) Schärfen Sie in Ihren Redaktionen und Ihren Medienhäusern das Bewusstsein für dieses Problem. Wir verspielen unsere Legitimation und Legitimität, wenn wir die normative Funktion von Medien wie eine Monstranz vor uns hertragen, dahinter aber wilde Orgien gefeiert werden. Denn so wichtig und richtig das Geldverdienen ist: Unsere Sonderstellung als Medien in den freien Gesellschaften resultiert nicht aus unserem Bedürfnis, Geld zu verdienen.

c) Überprüfen wir unsere Themen und Berichte immer wieder darauf, ob sie jenseits aller - notwendigen - Verkaufsargumente die eigentliche Funktion von Medien im oben definierten Sinne erfüllen.

AUSGABE 46
DAS SOZIALE NETZ





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EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF
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