| 
    
     
 
 
 FERNSEHLANDSCHAFT
 "Manche 
    sehen in die Tiefe,
 manche in die Höhe"
 
 
 INTERVIEW:
  BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF BILD:
  ART-LAWYER.DE 
 
 Der Medien- und Kunstszene gilt das Interesse
    des Rechtsanwaltes Jens Olaf Brelle.
    Seit Herbst 2002 ist Brelle, Jahrgang 1968, 
    mit seiner Kanzlei Art-Lawyer Ansprechpartner für die 
    Medienschaffenden und Kreativen in Hamburg. Sein Büro 
    hat Brelle in der historischen Speicherstadt. Die Gegenwart sprach mit dem 
    Anwalt über Toleranz, rechtliche Grenzen der Fernsehunterhaltung und die 
    Beständigkeit der Zauberformel "Sex sells".
 
 Herr Brelle, wo 
    sehen Sie das Fernsehen in Deutschland momentan:
 eher an einem Hoch- oder Tiefpunkt?
 
 Jens Olaf Brelle: Ich sehe es im Mittelpunkt. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Aus 
    Fernsehen werden heutzutage Nachrichten gemacht. Zum Beispiel: Die extensive 
    Berichterstattung über „Deutschland sucht den Superstar“, „Dschungelcamp“, 
    „Big Brother“, „Star Duell“ etc. Die Wertung „Hoch- oder Tiefpunkt“ ergibt 
    sich aus dem individuellen und intellektuellen Level eines jeden Zuschauers. 
    Manche sehen eben in die Höhe, manche in die Tiefe.
 
 Anfang des Jahres hat RTL der 
    Öffentlichkeit und dem Wettbewerb nach eigenen Angaben mit neuen Formaten 
    gezeigt, „wo der Sender heute steht“. Wohin geht Ihrer Meinung nach der 
    Trend der Fernsehunterhaltung?
 
 Brelle: Die Quoten geben dem Sender Recht. RTL ist mittlerweile Spitzenreiter. Ich 
    sehe da keine „Macht der Massen“, die viele – vermeintliche Intellektuelle – 
    fürchten. Die aktuelle Diskussion zum Beispiel über die 
    „Künstlereigenschaft“ von Dieter Bohlen ist verlogen. Künstler ist 
    derjenige, der sich als Künstler berufen fühlt. Ich bin gegen eine 
    "Kunstdiktatur"!
    Der moderne Lifestyle „Private Public“ bzw. „Public Private“ 
    insbesondere im Medium Fernsehen ist ein Spiegelbild der Gesellschaft: Das 
    Private wird nach außen getragen und öffentlich gezeigt. Sogar Intimes wird 
    zur Schau gestellt. Die neuen Formate senden das, was viele Zuschauer selbst 
    erleben wollen. Das ist eine Art von Ersatzbefriedigung, vielleicht...
    Und dieser Trend wird weitergehen, weil er Erfolg hat. Aber nur bis zum 
    Überdruss, dann kommt wieder Retro.
 
 Haben diese neuen Formate wirklich das Potenzial, das 
    Sender-Image bei der Zielgruppe zu beeinflussen?
 
 Brelle: Laut Polylux kursieren Meinungen wie „Fernsehen auf Primatenniveau“, 
    „Dumpfbacken-TV“, „RTL2-Style“ durch diverse Internetforen. Wie gesagt, bei 
    jeder Wertung kommt es immer auf den eigenen Standpunkt an. In ihrer 
    Zielgruppe sind die neuen Formate sehr, sehr erfolgreich und geben damit den 
    Sendern Recht und dazu noch Imagegewinn. Am meisten hat diversen Studien 
    zufolge RTL davon profitiert.
 
 Gilt „Sex sells“ noch oder haben andere Tendenzen diese 
    Zauberformel inzwischen abgelöst?
 
 Brelle: Ich glaube, die Zauberformel gilt immer noch! Obwohl viele schon von 
    Überdruss und Langeweile reden. Zumindest macht Sex 
    neugierig: Sexszenen bei „Big Brother“ wurden doch sehnlichst erwartet und 
    herbeigeschrieben. Obwohl sie absolut banal sind, macht so 
    etwas viele Leute offensichtlich an.
 
 Will das Publikum Ihrer 
    Meinung nach überhaupt noch „geschockt“ werden?
 
 Brelle: 
    RTL-„Fear Factor“ startete laut Quoten-News unter Durchschnitt. Die 
    erste Folge der US-Erfolgsshow erreichte „nur“ 2,06 Millionen Zuschauer der 
    14-49-Jährigen. Bei den Marktanteilen kam die Ekelshow lediglich auf 11,6 
    Prozent. Nicht gerade ein positives Bild, zumindest nach RTL-Maßstäben. Der 
    Zeitpunkt des Überdrusses naht vielleicht doch.
 
 Gibt es Beispiele für Sendungen, die bei uns nicht 
    laufen könnten? Wo liegen die rechtlichen Grenzen?
 
 Brelle: 
    Die Regelung in § 184 StGB ist klar: Die Verbreitung 
    von pornografischen Schriften ist verboten. Das gleiche gilt für Ton- und 
    Bildaufnahmen. Das „Problem“ ist heutzutage nicht mehr die Darstellung von 
    sexuellen Inhalten. Sex ist normal. Kritische Fälle ergeben sich jedoch im 
    Zusammenhang mit Kinderpornografie. Hier wird – zu Recht – der Schwerpunkt 
    der Strafverfolgung gelegt. „Prominente“ Fälle von Pornografie gab es in 
    letzter Zeit nicht.
 
 Gibt es europäische TV-Formate, die Ihrer Meinung nach 
    in Deutschland mangels Interesse der Öffentlichkeit nicht funktionieren 
    würden?
 
 Brelle: 
    Ich glaube, ein Berlusconi-„Dudel-Imperium“ wie in 
    Italien würde in Deutschland nicht akzeptiert werden. Auf ein konkretes 
    TV-Format bezogen möchte ich mich aber nicht festlegen. Denn: alles ist 
    möglich. Und meistens kommt es anders, als man denkt!
 
 Mit dem Sender RTL 
    verbindet man in Deutschland eine Reihe von sehr unterschiedlichen 
    Angeboten: seriöse Nachrichten, Hollywood-Spielfilme, Vorabend-Serien, aber 
    auch Dschungelcamp-Klamauk. Wie dehnbar ist Ihrer Meinung nach die Marke 
    RTL?
 
 Brelle: 
    Eine schwierige Frage. Ich 
    denke, RTL ist ein „Volkssender“. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die 
    Spartensender bedienen eine ganz spezielle Klientel. RTL wendet sich an die 
    Massen. Und das ist auch gut so, dass es solche Sender gibt.
 
 Gerhard Zeiler, der CEO der 
    RTL Group, hat in einem Spiegel-Interview gesagt, der Hang des Zuschauers 
    gehe zum Eskapismus. Dennoch scheint Schadenfreude über reale Missgeschicke 
    von Show-Teilnehmern als Erfolgsfaktor ebenfalls an Bedeutung zu gewinnen. 
    Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
 
 Brelle: 
    Schauen Sie sich den Streit über die 
    „Tagesschau“-Meldung zu Daniel Küblbocks Gurkenlasterunfall an. Der NDR 
    erhielt bitterböse Briefe mit der Beschwerde, die angesehene 
    Nachrichtensendung ließe sich auf „BILD“-Niveau herab. Der Sender 
    verteidigte sich mit der Aussage, der Unfall sei durchaus eine tagesaktuelle 
    „Meldung“, befinde sich aber mit Sicherheit im journalistischen 
    „Grenzbereich“. Dieses Beispiel erklärt, dass die Zuschauer, genau die 
    Nachrichten bekommen, die sie „verdienen“. Der Markt für „grenzwertige“ 
    Meldungen ist offensichtlich da.
 
    Warum ist man in anderen Ländern offenbar toleranter 
    im Umgang mit Privatem in der Öffentlichkeit?
 Brelle: Ist das 
    wirklich so? Das bezweifle ich. Ich glaube, in Deutschland herrscht ein sehr 
    liberales und tolerantes Gesellschaftsklima. Skandinavier sind da vielleicht 
    noch toleranter. Viele Pornoproduktionen stammen ja aus diesen Ländern. Das 
    eher katholische Südeuropa ist wohl eher durch öffentliche Zurückhaltung 
    geprägt. Zum Beispiel die USA. dagegen durch öffentliche Verlogenheit.
 
 Minimale private Details entscheiden in der 
    Öffentlichkeit neuerdings über ganze Karrieren. So wurde die 
    Starsearch-Jurorin Alexandra Kamp von Sat1 gefeuert, weil sie Streitigkeiten 
    per Rechtsanwalt klären wollte. Auslöser waren vergleichsweise harmlose 
    Bemerkungen in der Sendung. Sehen Sie eine zunehmende Hysterie der Medien, 
    die zu einer medialen Verurteilung von Personen in der Öffentlichkeit führt?
 
 Brelle: Waren die Bemerkungen wirklich „harmlos“? Alexandra Kamp wurde ja nicht 
    gefeuert, weil sie sich gegen diese Äußerungen wehren wollte. Laut 
    Pressemitteilung von Dr. Roger Schawinski, SAT.1-Geschäftsführer deshalb: 
    „Man kann gerne unterschiedlicher Meinung sein und sich darüber auch 
    auseinandersetzen. Nur sollte dies unter Kollegen – hierzu zählen für mich 
    die Mitarbeiter und die Sat.1-Stars - direkt passieren. Alles andere 
    widerspricht den Grundregeln der Zusammenarbeit in unserem Hause." In diesem 
    Fall war es wohl keine „mediale Verurteilung“, sondern einfach nur 
    schlechter Stil.
 
 Werden verstärkt rechtliche Grenzen kalkuliert 
    überschritten, um Aufmerksamkeitserfolge zu erzielen?
 
 Brelle: 
    Eindeutige Antwort: Ja! Obwohl die Strafanzeige von 
    Tierschützern gegen das „Dschungelcamp“ wegen Tierquälerei eher zum 
    Schmunzeln geeignet ist, als dass man hier von kalkulierter 
    Grenzüberschreitung sprechen könnte.
 
 Gibt es gegenläufige Trends 
    zu den neuen Formaten des öffentlichen Privaten?
 
 Brelle: Die eher zynischen und „intellektuellen“ Formate für 
    „Gebildete“: Ich meine damit nicht die Harald-Schmidt-Show. Laut Umfragen 
    vermisst die nämlich niemand mehr. So etwas wie 
    „Polylux“, „Extra 3“, „Zapp“, „Zimmer frei!“, „Dittsche“ etc.. Und Anke 
    Engelke möchte in ihrer neuen Late-Night-Show  mit den Gästen zum Beispiel 
    mal kochen. Denn dabei könne mehr vielmehr als sonst von den eingeladenen 
    Gästen erfahren, siehe „Zimmer frei!“. Man darf 
    gespannt sein. Trotz allem bleibt Anke Engelke ganz locker, denn: „Das 
    Schlimmste, was bei meinem Timing und Groove passieren kann, ist, dass wir 
    eine Viertelstunde zu früh fertig sind .... und eigentlich finde ich auch 
    Scheitern super!"
 
 Was 
    werden wir in Zukunft noch im Fernsehen in punkto öffentlicher Privatheit 
    erwarten können?
 
 Brelle: 
    Beim Bundespräsidenten zu Hause im Schloss Bellevue, 
    das wäre doch  mal was!
  | AUSGABE 37 SCHWERPUNKT DAS ÖFFENTLICHE PRIVATE
 
 
 
  
 STARTSEITE
 
 EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF
 INTERVIEW MIT JENS O. 
    BRELLE
 MOMA IN BERLIN
 DIE KULISSENSCHIEBER
 FÜNF FRAGEN - ZEHN 
    ANTWORTEN
 DIE BEWEGTE NATION
 DARF DIE KUNST ALLES?
 MAMA IST DOCH DIE BESTE
 DIE EWIGE WIEDERHOLUNG
 HYBRIDFORMATE SIND TRUMPF
 RÜCKSICHT BEIM TELEFONIEREN
 EHRE, WEM EHRE GEBÜHRT
 NUR BARES IST WAHRES
 
 ALLE AUSGABEN IM ARCHIV
 DAS REGISTER
 ÜBER DIE GEGENWART
 IMPRESSUM
 
 
  
 
   
  |